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AutorenbildSönke Stiller

DIN SPEC Deutsche Leichte Sprache

Da liegt er endlich: Der Entwurf der DIN SPEC Deutsche Leichte Sprache. Ein Versuch, verschiedene Regelwerke zu harmonisieren und einen Standard für alle zu schaffen. So könnte in Zukunft gute Qualität leichter erkennbar sein. Das ist jedenfalls meine Hoffnung, als ich den Text in die Hand nehme. Nun also ist die Fachwelt aufgefordert, den Entwurf zu kommentieren.


Empfehlungen statt Regeln

Mit großer Neugier stürze ich mich auf den Text. Die erste Enttäuschung gleich zu Beginn: alles nur Empfehlungen, Soll-Regeln statt Muss-Regeln. Ganz offensichtlich waren im Normierungsprozess die Interessen und Ansichten zu unterschiedlich, um sich auf verbindliche Regeln zu einigen.


Und so geht es weiter: Der zu verwendende Wortschatz wird zwar beschrieben, aber nicht genau definiert. Es gibt keine Entscheidung zu Mediopunkt oder Bindestrich. Dafür werden verschiedenste Markierungen (fett, unterstrichen, kursiv, anderer Schriftschnitt, farbig, …) nebeneinander erlaubt. Ich sehe schon Texte vor mir, in denen es im wahrsten Sinne des Wortes „bunt“ zugeht. Das fördert nicht die Lesbarkeit, sondern sorgt für Chaos im Layout.


Leichte Sprache mit Genderstern?

Die vielleicht größte Überraschung für mich war das Unterkapitel zu geschlechtergerechter Sprache. Unsere Agentur gendert in Leichte-Sprache-Texten nicht – und wenn die Auftraggeberin darauf besteht, dann nur mit Beidnennung, wobei die männliche Form zuerst genannt wird (z.B. „Schüler und Schülerinnen“). Nach der vorliegenden Fassung der DIN Spec ist unter bestimmten Umständen alles erlaubt: sogar Gendersternchen. Wer wissen will, warum ich das skeptisch sehe, lese meinen Beitrag über das Gendern in Einfacher Sprache (in dem ich auch die Leichte Sprache streife).


Und schließlich verlangt die DIN Spec Leichte Sprache an mehreren Stellen eine besondere Markierung von Leichte-Sprache-Texten: eine gute Auffindbarkeit, deutlich sichtbare Symbole auf Websites oder Covern von Veröffentlichungen. Ich verstehe den Gedanken dahinter. Texte in Leichter Sprache sollten für ihre Leserin auffindbar sein. Aber gleichzeitig sorgt das Label für eine Stigmatisierung. Ein besonderes Label „Leichte Sprache“ kennzeichnet den Leser des Textes als zu einer bestimmten Gruppe gehörig. Das ist das Gegenteil von Inklusion.


Doch noch eine klare Regel

Fun Fact: Im ganzen Dokument gibt es eine einzige „Muss“-Vorschrift: „Menschen mit Lernschwierigkeiten müssen das Prüfen von Leichte-Sprache-Texten erlernen.“ Das finde ich einigermaßen witzig. Ist nicht das Ziel der Prüfung, herauszufinden, ob ein Text – eingebunden in sein Medium – verständlich ist und, falls nein, wo die Barrieren liegen?


Eine Ausbildung und vielfache Praxis sehe ich an dieser Stelle mehr als kritisch. Ich glaube, sie kann sogar kontraproduktiv sein. Denn sehr geübte Prüferinnen sind irgendwann „zu gute“ Leserinnen. Sie verstehen einfach „zu viel“. Zu diesem Problem kann eine Ausbildung beitragen. Je weniger Vorwissen – auch über die Leichte Sprache selbst –, desto unbefangener können Prüfer arbeiten. Wichtig sind eine gute Anleitung durch die Prüfassistenz und eine offene Atmosphäre, in der alle Fragen und Zweifel am Text geäußert werden können.


Viel Schatten, aber auch Licht

Gibt es auch Positives zu berichten? Ja. Es wurde nicht nur viel gestritten, es wurde auch hart gearbeitet. Beides sieht man dem Dokument an. Es gibt Hinweise zu wichtigen Themen, die bisher oft zu kurz kamen: Gestaltung, Schriftart, Art des Mediums, Kontextualisierung des Textes, eine Prozessbeschreibung zur Entstehung von Leichte-Sprache-Texten und vieles mehr. Das alles ist begrüßenswert.


Auch in den Empfehlungen auf Textebene gibt es viel Gutes, zum Beispiel die Festlegung, dass Leichte Sprache grammatikalisch korrekt sein soll, dass der Genitiv nicht um jeden Preis zu vermeiden ist und die konkrete Benennung von erlaubten Passivkonstruktionen. Hier hat der Entwurf große Stärken.


Was tun?

Ich frage mich, was ich mit dem Entwurf anfange. Hat der Entwurf das Zeug, ein neuer Standard zu werden, der die Mühe einer formalen Kommentierung wert ist? Oder wird der Entwurf aufgrund seiner mangelnden Verbindlichkeit ohnehin keine große Wirkung entfalten? Ich bin mir unsicher.


Umso mehr interessiert mich: Wie bewerten Sie den vorliegenden Entwurf? Und wie werden Sie sich dazu verhalten?


Herzliche Grüße

Sönke Stiller

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